17. Dezember 2012

Beasts of the Southern Wild

Ich liebe es in Filme zu gehen, von denen ich keinen blassen Schimmer habe, um was sie handeln könnten. Genauso war es bei Beasts of the Southern Wild bei der diesjährigen Viennale. Weder Trailer, noch sonstiges Footage aus dem Film waren mir bekannt. Nicht einmal auf Wikipedia oder Metacritic las ich mir Handlung oder Kritiken durch. Einzig die Viennale-Rezension, welche leider oft mehr Hirnwichserei als hilfreich oder informativ sind, und eine Empfehlung meines Mitbewohners ("Wird dir gefallen, aber ich sag dir nicht, worums geht. Ätsch!") unterliefen mir auf dem Weg ins Kino. Und so kam es mal wieder, dass sich euer lieber Santi nichtsahnend in seinem Kinosessel zurücklehnte, imposante Bilder bestaunte, über zwischenmenschliche Beziehungen nachdachte, sich wunderte, was da gerade auf der Leinwand passierte, und nach dem Abspann überraschend feststellte, dass ihm dieser Film sogar ganz gut gefallen hat, obwohl er bis zum Bier danach nicht ganz wusste, warum eigentlich...




Der Film spielt in den Jahren nach der Milleniumswende und ist angesiedelt im amerikanischen Südosten (Mississippi, Louisiana), wo dichte Wälder und langsame Flüsse die Flora, sowie Mosquitos und Alligatoren die Fauna prägen. Dort lebt das junge 6-jährige Mädchen Hushpuppy zusammen mit ihrem strikten, aber zugleich fürsorglichen Vater Wink in der Kommune "The Bathtub". Diese Ortschaft grenzt einige Kilometer landeinwärts an einen riesigen Damm an, der die dahinterliegenden Fabriken im Falle von Hochwasser schützen soll, und so quasi das Land von der Stadt trennt. Das Leben ist simpel und nicht auf finanziellen Erfolg getrimmt, sondern um das miteinander leben und das Überleben. Tiere werden selbst gehalten, der Alkohol selbst gebrannt. Es ist ein rustikales Dasein, wenn man so will, aber anstatt von landwirtschaftlich bebauten Feldern wird der Alltag vom Sumpf beherrscht. Die Schulen sind ebenfalls sehr rabiat organisiert. So erzählt die unterrichtende Lehrerin nicht über Mathematik oder Englischkenntnisse, sondern von Prophezeiungen über zerstörerische Stürme, globale Erwärmung, Hokuspokus und über in der Eiszeit in das ewige Eis eingesperrte Auerochsen. Diese Auerochsen würden bald durch die globale Erwärmung befreit werden und wieder die Ländereien der Menschen heimsuchen.

So kommt es, dass eine dieser Prophezeiungen tatsächlich wahr wird und ein Hurrikan durch das Land fegt. Möglicherweise Hurrikan Katrina? Die meisten Menschen fliehen aus The Bathtub, aber Wink und Hushpuppy bleiben zusammen mit einer Hand voll Freunden und Bekannten zurück. Gemeinsam stellen sie sich dem Hochwasser und den Rettungsversuchen der modernen Zivilisation, die mit Bergungshubschraubern die Überlebenden der Flut gegen deren Wunsch in ein Hilfslazarett transportieren will. Zusätzlich beginnt Wink unter einer dubiosen Krankheit zu leiden und versucht seiner Tochter in seinem Leben noch so viel wie möglich beizubringen, nichtsahnend, dass die vorhin erwähnten Auerochsen durch einen Gletscherbruch in der Antarktis wirklich wieder befreit wurden und nun unaufhaltsam Richtung Bathtub marschieren.

Nach dem Film begab sich meine Filmgruppe auf eine lange Suche durch die Innenstadt, ein nicht-überfülltes Lokal zu finden. Samstagabend gleicht dieses Unterfangen einem Spießrutenlauf. Nach 20 Minuten wurden wir schlussendlich doch noch fündig und palaverten über den tieferen Sinn der Geschichte von Beasts of the Southern Wild. Was war nun die Botschaft? Gibt es überhaupt eine? War der Film vielleicht eine Kritik über die Klima-Resolutionen des Kyotoprotokolls, welches scheinbar zum Scheitern verurteilt ist? Oder ist es eine Anspielung an die viel zu langsame Aufbauhilfe und chaotische Innenpolitik des George Walker Bush nach dem Hurrikan Katrina? Oder sollen vielleicht soziale Probleme zwischen den Gesellschaftsschichten, angetrieben durch zu große Industrialisierung und dem Stadtdrang der Bevölkerung, Thema des Filmes sein? Und was hat es mit diesen Auerochsen auf sich? Sind sie die Bestien des wilden Südens? Oder ist das vielleicht doch jemand anderes? Geht es in Wirklichkeit um die psychische Reifung der Protagonisten?

Das Schöne an  Beasts of the Southern Wild ist, dass er so viele dieser Thematiken anschneidet, aber sich nicht ausschließlich mit ihnen befasst. Dadurch kommt ein dynamischer Mix zustande, welcher folglich den Zuseher über genau diese Aspekte des Lebens zum Nachdenken bringt, aber ihn nicht mit unnötigen Informationen überrumpelt, sondern seinen Verstand mit beeindruckenden, unvergesslichen Bildern, einem verzaubernden Soundtrack und klugen Dialogen füttert. Stars des Filmes sind letztendlich das Vater-Tochter-Duo Hushpuppy und Wink, gespielt von Quvenzhané Wallis und Dwight Henry. Die Leinwandpräsenz der Beiden ist unglaublich hoch und ihre Charaktere mit einer unfassbaren Leidenschaft gespielt und zwischenmenschlicher Tiefe bestückt, die man in vielen Blockbustern der heutigen Zeit vermisst. Henry Dwights Cast ist sogar nur zufällig während der Dreharbeiten zustande gekommen, da er schon einmal Zeuge von so einem Jahrhundertsturm wurde. Der eigentliche Fokus von Beasts of the Southern Wild liegt eindeutig in der Vater-Tochter-Beziehung, ist unsere Filmgruppe zum Entschluss gekommen.

Der Film kommt schon diese Woche im deutschsprachigen Raum in die Kinos und wem genau ich diesen Film empfehlen soll, weiß ich leider nicht, da er eben nicht in ein konkretes Genre fällt und es fast schon jedem selbst überlassen ist, was er in diesem Film sehen mag. Sogar das Verhältnis zwischen Hushpuppy und Wink kann verschieden interpretiert werden. Abgerundet wird der intelligente Plot und die einprägsamen Szenen von der Off-Stimme der Hauptdarstellerin, welche die einzelnen Momente des Filmes miteinander verbindet und sie liebevoll aus einer vollkommen eigenen, kindlichen Sicht beschreibt. Aus der Sicht einer 6-Jährigen nämlich. Nicht umsonst heimste Beasts of the Southern Wild bei zahlreichen Filmfestivals den Großteil der Preise ab, für die er nominiert wurden. Sogar Hollywood-Filmkritikergröße Roger Ebert blieb die Spucke weg. Ganz großes Kino und eigentlich jedem zu empfehlen!

santi

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