15. Juli 2013

Black Mesa

Ihr kennt das doch sicher auch. Euch ist langweilig übers Wochenende, seid aber zu faul eine neue Aktivität anzufangen. Eine neue Fernsehserie zu beginnen, ein neues Buch lesen, ein neues Videospiel spielen, ...die Motivation für etwas neues fehlt einfach. Also findet man sich eine alte Aktivität und beschäftigt sich zum Erbrechen mit dieser! Auf einmal schaut man eine ganze Nacht lang die erste Staffel seiner Lieblingsserie Futurama durch, oder liest zum Spaß halber nochmal alle Herr der Ringe oder Harry Potter-Bücher, oder man schaut sich alle Star Wars-Filme nochmals an (in der Machete-Order wohlgemerkt). Hauptsache nichts neues anfangen und die alte Sache exzessiv wiederaufleben lassen. Mich packte das Retro-Fieber ebenfalls, nur meine Droge nannte sich Half-Life. Ein spielbarer Action-Science-Fiction-Meilenstein für den PC von der Firma Valve aus dem Jahre 1998 wie man ihn zuvor noch nie sah. Und auch seine Fortsetzung war und ist immer noch ein pompöses Meisterwerk, welches weiterhin noch komponiert wird und auf einen gelungen Abschluss in Half-Life 2: Episode 3 wartet. Über die Tage hinweg rannte ich nun durch City 17, seine Kanalisationen und die herumliegenden Wälder, stets wissend, dass der letzte Teil wohl noch länger bis zu seiner Veröffentlichung braucht und der Frust über diese Tatsache durch ein erneutes Durchspielen diese außerweltlichen Videospielserie wohl nicht gestillt wird. 

Aber Stopp! Während am Ende in Episode 1 die Zitadelle der Combine abermals in einem Meer aus Licht und Schall direkt vor meinen Augen in sich zusammenbrach, kam mir eine Erinnerung zugeflogen. Eine Erinnerung an ein Projekt von Videospielfanatikern wie meinesgleichen. Sie tauften ihr Unterfangen Black Mesa und nahmen die technologisch fortschrittlicheren Physik- und Grafikwerkzeuge der Fortsetzung Half-Life 2 (2004) und bauten damit den ersten Teil von vor 6 Jahren nach. Dieses Projekt zog sich scheinbar endlos in die Länge und hat die Herzen der sehnlichst Wartenden wohl genauso bluten lassen wie Valve es derzeit mit Episode 3 macht. Hingegen anders als die Computerspielfirma vollendete das sogenannte Black Mesa-Team doch noch vor Valve, was sie sich vornahmen, und stellten ihre Modifikation letzten Oktober online und gratis ins Netz. Nun kann man auch den ersten Teil aus dem Jahre '98 in der prächtigen Source-Engine genießen und erlebt den Anfang vom Untergang des Lambda-Komplexes in einer atemberaubenden grafischen Schönheit, wie man es sich seit der Fortsetzung wünschte.




Aber genug poetisch und schwärmend palavert, kommen wir lieber zu den harten Fakten und zum Spiel an sich! Taugt Black Mesa etwas? Diese Frage könnte ich mit einem simplen "Ja" tatsächlich einfach so stehen lassen, aber wir wollen ja Details! Vorneweg haben die Programmierer mit dem Spiel Black Mesa nicht nur versucht, die Atmosphäre des Originals einzufangen, sondern sie um essentielle Facetten zu bereichern. So sieht die virtuelle Spielwelt nicht nur besser aus und hört sich besser an, sondern es wurden auch etliche neue Stimmen und Dialoge aufgenommen, um den auftretenden Personen mehr Charakter zu verleihen. Es wurden viel mehr herumliegende Gegenstände in die Spielwelt eingebaut, um den Lambda-Komplex belebter wirken zu lassen, und leere Passagen wurden clever um Rezeptionstische, Sofas, Maschinen, Bürotische, Getränkeautomaten, etc. erweitert. Jede gebaute Ecke in der physikalischen Einrichtung hat nun einen erkennbaren Zweck und existiert nicht nur, weil die damaligen Mapping-Instrumente keine Details zuließen oder die Original-Entwickler keine Texturen für diese Objekte zur Verfügung hatten. Hier wurde nicht nur nachgebaut, sondern intelligent darüber nachgedacht, was Valve damals für eine Vision von Half-Life hatte, aber es damals eben nicht in die Tat umsetzen konnten.

Hinzukommt ein extra für diesen Titel komponierter Soundtrack von Joel Nielsen, der mit den musikalischen Untermalungen von großen Blockbuster-Titeln nicht nur locker mithält, sondern sie sogar überbietet. Seien es nun actiongeladene, hektische Gitarrenriffs oder ruhige, Ambiente-Musiksegmente. Das Spiel hört sich nicht nur unglaublich geil an, sondern Joel hat es hier tatsächlich geschafft, eine Essenz von Half-Life einzufangen, die es bis dato nicht gab. Der Soundtrack samt seinem Erschaffer verdienen einen stehenden Applaus! Das erste Mal in meinem Leben ziehe ich es wirklich in Erwägung, den Soundtrack online als Download zu erwerben, einfach nur um Nielsen als unabhängigen Künstler zu unterstützen. Der Soundtrack alleine ist das Spielen fast schon wert.


Der offizielle Trailer.


Ansonsten spielt sich Black Mesa wie gehabt. Man erlebt die Resonanz-Kaskade tief unter der Erdoberfläche hautnah mit und muss sich seinen Weg springend und schießend an die Oberfläche bahnen, um eine drohende Alieninvasion zu verhindern. Da das Spiel dieses Mal auf der Source-Engine basiert, wurde auch das Menü mitverändert. So kann man wie in Valve-Spielen üblich nun endlich vor Spielbeginn das Kapitel auswählen und so schnell zur gewünschten Stelle springen. Als netten Bonus haben die Programmierer Achievements eingebaut. Diese steigern den Wiederspielbarkeitswert nur ein klein wenig, da man die meisten Sachen wohl ohnehin unbewusst im ersten Durchlauf erledigt.

Die Modifikation besitzt aber zwei Haken. Erstens, die geringere Spielzeit, da manche Passagen verkürzt oder sogar ganz ausgelassen worden sind. Dies geschah aber nicht aus Faulheit oder Ideenlosigkeit, sondern aus den simplen Überlegungen heraus, den Lambda-Komplex realistisch als physikalisch experimentelle Einrichtung darstellen zu wollen. Zweitens, das Fehlen von Xen. Hier traten während der Entwicklung tatsächlich technische Probleme und Dispute über die Umsetzung der Grenzdimension auf, sodass man den Rest schon vorzeitigt veröffentlichen wollte und Xen in Zukunft vielleicht nachgereicht wird. Dies steht aber leider noch in den Sternen und das Spiel endet mit dem Sprung ins Portal. Diese Dinge lassen aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass Black Mesa ein absolut gelungenes Revival und für jeden Fan der Serie ein Pflichtdownload ist! Es ist zwar leider kein Ersatz, aber versüßt doch ein klein wenig die Wartezeit. Jetzt heißt es wieder weiter auf Episode 3 hoffen...

santi



PS: 
Hier nochmals der Link zur Projektseite. Dort findet ihr auch prompt die Downloadmöglichkeiten für das Spiel und seinen grandiosen Soundtrack: www.BlackMesaSource.com

10. Juli 2013

Orcs Must Die! 2

Sicher erinnert ihr euch noch an das Strategie-Shooter-Feuerwerk im Mittelalter-/Fantasysetting Orcs must die!. Man versuchte eine Horde Orks, welche in bestimmten Intervallen auf einen zugerannt kamen, im klassischen Stil eines Tower-Defense-Spieles daran zu hindern, von A nach B zu gelangen. Dies tat man entweder mit Hindernissen wie Barrikaden, Stachelfallen, Ballisten, Teergruben, giftigen Pilzen, explodierenden Lockvögeln oder was nicht noch alles, oder man warf sich mit dem eigenen Boxhandschuh, Speer, Schwert oder Armbrust in den Tumult hinein, sollten die Fallen nicht mehr ausreichen. Leider musste man dies in vergangenen Zeiten noch alleine tun und sehnlichst wünschten sich viele Spieler einen Freund herbei, mit dem man gemeinsam die Flure, Hallen und Brücken der zu verteidigenden Schlösser mit dem Blut seiner Feinde tränken konnte. Nun, die Fans wünschten es sich, Robot Entertainment lieferte. KOOP für das Ork-Schnetzel-Spiel Orcs must die!. Jetzt kann man sich endlich zu zweit gegen die heranschwappenden Wellen der grünen Flut behaupten, an Strategien tüfteln und inbrünstig Verzweiflungsschreie entgegen den Bildschirm brüllen, während man Schulter an Schulter inmitten von Orks, Kobolden, Gnomen, Trollen und Zyklopen untergeht. Ein Spaß für die ganze Familie! Na gut, für zumindest 2 Leute dieser Familie!

Orcs must die! 2 setzt die Geschichte des ersten Teiles fort. Die Rifts wurden geschlossen und somit die Orkhorden aufgehalten. Leider floss aus den Rifts auch die Magie in die Welten der Menschen und Orks, und ohne den Rifts droht diese zu versiegen. Und nicht nur das, denn scheinbar sind die Menschen in dieser Fantasywelt vollkommen abhängig von dieser Magie, um Landwirtschaft zu treiben, Tiere zu jagen, Früchte zu pflücken ...einfach alles, um an Nahrungsmittel zu kommen ist abhängig von Magie. Ohne dieser Magie droht ihnen also der sichere Hungertod. Daher müssen die Rifts wieder geöffnet und erneut von den herannahenden grünen Barbaren verteidigt werden. Was ein Schwachsinnsszenario, aber immerhin wird in Orcs must die! auf den Plot ohnehin nicht so viel Wert gelegt. Denn in diesem Spiel geht es um Orkse meeeeeetzeeeeeeln! Und das verstehen die Programmierer von Robot Entertainment schon eher geschickt in die Tat umzusetzen.

Was bringt denn der zweite Teil nun mit sich? Zuallererst einmal neue Waffen und Fallen. Braucht man das? Eigentlich nicht. Neue Gegner kommen auch dazu, aber das ist eigentlich auch nur netter Schnickschnack und wird meist vom Spieler gar nicht wahrgenommen. Neue Level...das sollte ja selbstverständlich sein. Die beeindruckenden Extras von dem Spiel lassen sich also an einer Hand abzählen. Um genauer zu sein, an einem Finger.Kooperativer Zweispieler-Spielmodus! Alle Level sind darauf ausgelegt, sie mit einem Freund zu spielen. So gilt es meistens nicht nur 2, sondern gleich 3 oder gar 4 Korridore zu befestigen und zu halten. Alleine ist dies auf dem normalen Schwierigkeitsgrad zu Beginn des Spieles zwar noch möglich, aber in den späteren Levels oder auf höheren Schwierigkeitsgraden braucht man schon die Reflexe und Geschicklichkeit eines Japaners oder Koreaners, um einen Sieg mit voller Punktezahl zu erringen.

Nicht nur die Level sind auf ein Zusammenspiel ausgelegt, auch das Inventar verändert sich. Spielt man alleine, kann man bis zu 10 Waffen und Fallen mit sich tragen. Spielt man jedoch mit einem Partner, beschränken sich eure Möglichkeiten auf 5-6 Gegenstände, die ihr bei euch tragen könnt. Absprache ist daher ein absolutes Muss! Wenn einer von euch eine Teergrube mit hat, braucht der andere gewiss keine Frostfalle. Zusätzlich dazu müsst ihr euch zu Beginn des Spieles zwischen dem Kriegsmagier und der Zauberin entscheiden. Beide tragen jeweils andere Waffen und Fallen mit sich und spielen sich auch leicht verschieden, was eine Absprache natürlich noch interessanter macht. Der Kampfmagier hat zum Beispiel eine wesentlich größere Gesundheitsanzeige und mehr Nahkampfwaffen, schmeißt sich ergo viel lieber ins Getümmel. Die Zauberin andererseits besitzt wenig Gesundheit, aber dafür umso mehr Fernkampfwaffen und Mana für Magie, und agiert daher lieber aus dem Hintergrund. Für jeden also etwas dabei.


Hach ja, Seite an Seite kämpfen. 
Zum Glück gibt es kein Friendly Fire.


Abgesehen vom Koop hat sich auch das Freischaltsystem verändert. So erhält man nicht nur erst nach erfolgreichem Abschluss eines Levels neue Fallen und Waffen, um diese mit eingesammelten Schädeln (quasi die Währung des Spieles) aufzupimpen und stärker zu machen, sondern man verwendet diese Schädel nun ebenfalls, um sich selbst neue Gegenstände zu kaufen, die man im normalen Spielverlauf nicht freischalten würde. Die Schädel können dieses Mal auch durch ein erneutes Abschließen eines Levels verdient werden, anders als im Vorgänger, in welchem man seine Schädel noch klug einsetzen musste, da diese nur begrenzt vergeben wurden. Dies fördert den Wiederspielbarkeitswert immens, da man ständig seine Schädel sammelt und in neue Gegenstände oder Upgrades investiert. Auf der anderen Seite macht dies natürlich den Schwierigkeitsgrad des Spieles ein bisschen obsolet, da man sich durch das Sammeln der Schädel bereits früh ein sehr individuelles Set an Waffen und Fallen zusammenstellen kann, und man es somit gegen die Orks leichter hat, sollte man vorher genug Zeit in das Spiel gesteckt haben. Ob einem dieser Entwicklungsschritt gefällt, muss jeder für sich entscheiden. Ich bewerte diese Veränderung eigentlich recht positiv, da nun meine Spielzeit, egal was ich mache, belohnt wird, und ein sogenanntes "Verskillen" quasi nonexistent ist. Bedauerswert ist aber, dass das System mit den temporären Boni, die man sich vor Beginn jeder neuen Karte aussuchen konnte, wegfiel. Dieses Feature brachte neben der richtigen Auswahl der Fallen ein bisschen mehr Tiefgang in die Strategien hinein. Schade.

Eine nette Erweiterung am Rande sind noch die verfügbaren Spielmodi. Man hat nämlich nicht nur die neuen Level zu Verfügung, sondern kann auch jederzeit zu zweit die Level aus dem ersten Teil zusammen wiederspielen. Hinzukommen auch noch ein Endlosmodus, welcher gegen Welle 45 fast schon unmöglich zu bewältigen wird, und eine Weekly Challange (man muss einen bestimmten Level mit einem vorgegeben Set an Waffen und Fallen spielen). Diese beiden Modi machen ein Einschalten des Spieles alle paar Wochen wesentlich attraktiver und zögert die Abnützungserscheinungen des Titels um ein Vielfaches heraus.

Resümee: Durch die mangelnde Qualität der Geschichte wirkt das Spiel alles in allem leider eher wie ein Add-On mit vielen zusätzlichen Waffen, Levels, Fallen und einem Koop-Modus, als wie eine Fortsetzung um die Geschichte weiterzuerzählen. Sollte man mit dem ersten Orcs must die! zufrieden gewesen sein und den Koop-Modus nicht brauchen, dann kann man getrost dem Nachfolger fernbleiben. Denn das ist wirklich die einzige große Stärke von Orcs must die! 2: der Koop-Modus. Solltet ihr noch keinen der beiden Titel besitzen, so rate ich, dass ihr euch für einen von beiden entscheidet, da sie eigentlich genau das gleiche Spiel sind. Wollt ihr lieber Einzelspieleraction? Dann greift zum ersten Teil. Wenn euch Multiplayer besser gefällt, dann ist wohl der zweite Teil die bessere Wahl. Den geringen Wissensverlust bezüglich der Story kann man beruhigt ignorieren. Trotz allem macht der Titel Orcs must die! 2 nichts wirklich falsch und ist eine Menge Spaß zu spielen!

santi

5. Juli 2013

World War Z: An Oral History of the Zombie War

Yeah, Trailer vor einem Kinofilm sind fast ein größeres Highlight als der Film selbst! Na mal sehen: Aha.... 0815 Liebeskomödie.... Uh, die Doku könnte vielleicht ganz interessant sein, aber bei DEM Publikum im Saal wird diese Werbung wohl wenig fruchten ....neargh, noch ein sinnloser Actionfilm und unzählige millionen Dollar verschwendet -_- .... Juhu, es ist eine weitere Comicbuchverfilmung von Marvel! Scheiß auf die millionen Dollar! ....Was kommt denn nun? Brad Pitt mit einem dünnen Schal mitten im Sommer. Macht der jetzt auf Hipster? Aha, es rennen viele Menschen vor irgendetwas weg. Brad läuft mit. Man sieht noch nicht wirklich irgendwas. Wird wohl ein Katastrophenfilm sein. Oder irgendein Monsterfilm. Jetzt sieht man auf einmal Schiffe auf dem Meer.... das erinnert mich doch an etwas. Katastrophen und Zuflucht auf dem Meer klingen verdammt vertraut. Nur woher? Oje, mir ahnt übles. Oh Gott, bitte lass die Katastrophe keine Zombieapokalypse sein.... NEEEEEIIIIIN, es sind wirklich Zombies! Bitte lass es keine Verfilmung von dem grandiosen Buch World War Z sein! .....AAAAAAHHHHH, es ist die Verfilmung!!! Rettet euch! Rettet euch solange ihr noch könnt!!!!!




Es ist wirklich zum Heulen, denn kein Buch bleibt von der schreibfaulen Hollywood-Industrie verschont. Ich weiß nicht einmal, wo ich anfangen soll rumzumeckern, so sehr hält sich meine Begeisterung über den kommenden Kinofilm in Grenzen. Aber ich sollte wohl nicht voreilig Schlüsse ziehen und rumraunzen. Vielleicht wird der Film ja sogar ganz gut, wenngleich er an die Buchvorlage niemals herankommen wird! Hmpf, immerhin steht der Trost über diesen Zwiespalt in Papierform nur 4 Meter weit weg in meinem Bücherregal und weckt Erinnerungen an bessere Zeiten, in welchen Drehbuchautor noch selbst Geschichten erfanden und ich statt für die Uni zu lernen, lieber auf dem Sofa gelegen bin und ein Buch gelesen habe. Und ein paar von euch kennen mich gut genug, um zu wissen, dass solch ein Ereignis eher selten stattfindet, und es sich dementsprechend um ein verdammt gutes Buch handeln muss! Also warum nicht zuerst über das Buch, auf welchem der Film basiert, schreiben, anstatt rumzumeckern? Worum es in World War Z des Autors Max Brooks (Sohn des berühmten Mel Brooks (Spaceballs)) geht, wisst ihr ja schon: die Zombieapokalypse bricht aus bzw. brach aus, denn alle in dem Buch geschilderten Ereignisse finden in der Vergangenheit der eigentlichen Geschichte statt. Aber gehen wir lieber nochmal auf Anfang.

In der Einleitung des Buches will ein engagierter UNO-Mitarbeiter einen Bericht über die sogenannten Z-Kriege verfassen, da viele Dokumente und Daten noch in Zusammenhang gebracht und katalogisiert werden müssen. Sein direkter Vorgesetzter erkennt jedoch die Leidenschaft, mit welcher dieser junge Büroangestellte zu Werke geht, und meint zu diesem, er könne doch gleich ein Buch aus Augenzeugenberichten schreiben, welches zugleich den umfassenden Abschlussbericht darstellt. Und schon macht sich nach nur 3 Seiten Einleitung unser Büroangestellter auf eine lange Reise um die Welt, um als Hobbyjournalist Menschen zu interviewen. Darum geht es in dem Buch: man liest selten die eigenen Worte der Hauptperson, falls man sie so überhaupt nennen kann, da sie ja nur einen zweckmäßigen Rahmen erstellt, um den Stil der Erzählung zu rechtfertigen, ...man liest nie die eigenen Worte dieser Hauptperson, sondern immer nur die verschiedenen Schilderungen von bereits in die Jahre gekommenen Leuten, welche die Zombieinvasion vor einigen Jahren überlebt haben. Alle paar Seiten wechselt also die Perspektive und der Standort. Daher auch der Untertitel "An Oral History...". Nach und nach berichten diese Personen nun, was sie so erlebt haben, und man erhält einen netten Überblick, wie die Leute in verschiedenen Erdteilen den Ausbruch der Invasion mitbekamen und um ihr Überleben kämpften, was uns auch schon zum interessantesten Aspekt des Buches bringt. Objektivitität versus Subjektivität.

Obwohl der Autor unglaubliche Raffinesse und Kreativität an den Tag legt über Faktoren, die bei so einer Apokalypse mitspielen, beschränkt er durch diesen losen Zusammenhang von vollkommen willkürlich ausgewählten fiktiven Interviewpartnern enorm das Verständnis über die Dinge, die überhaupt passieren. So erfährt man zum Beispiel nie, wie die Invasion genau ausgebrochen ist, oder was mit dem einen Staat passiert ist, obwohl zu Beginn noch genau dieser Staat erwähnt wurde. Es bleiben so viele Fragen offen, eben bedingt durch den Erzählstil des Buches. Der Leser bekommt trotz eines extrem süchtig machenden Stilmittels nie vollständige Antworten auf seine Fragen und bleibt nach Beendigung des Buches ein bisschen in der Luft hängen gelassen. Die Struktur mit den Interviews ist im doppelten Sinne aber genial von dem Autor gewählt. Er schafft dadurch nicht nur eine außergewöhnliche Rahmenhandlung, die es alleine schon wert ist, gelesen zu werden, sondern entzieht sich damit zugleich jeglicher Verantwortung, schlussendlich abschließende Antworten vorlegen zu müssen. BÄM, Geniestreich!

Auf der anderen Seite erfindet Max Brooks SO viele (ja, ich muss es großschreiben, da es wirklich viele sind) fiktive Personen und Geschichten zu ihnen, dass man ihm trotz der offenen Antworten am Ende nicht böse sein kann. Er verleiht jeder Person alleine schon durch die Art wie sie redet und gestikuliert so unglaublich viel Authentizität, Diversität und Einzigartigkeit, sodass man sich ihre Erlebnisse derart im Kopf verinnerlicht, als sei man selbst auf der Flucht vor den Zombies gewesen, als sei es eine echte Person, die hier ihre Geschichte erzählt und kein erfundener Charakter. Durch diese schiere Menge an Erzählfiguren, erhält man nun widersprüchlicherweise doch genug Objektivität über die Ereignisse, aber eben immer nur aus der Sicht eines Einzelnen und nie das gesamte Bild.

Hinzukommt, dass Brooks Faktoren berücksichtigt, an die Ottonormalverbraucher nicht mal denken würden. Eine "kurze" Liste:
  • Wie verhalten sich Tiere, speziell Hunde gegenüber Zombies? Kann man dies zu seinem Vorteil nützen? Jagen Zombies wirklich nur Menschen?
  • In welchen Regionen sind Untote überlebens- bzw. fortbewegungsfähig? Speziell in verschneiten Regionen oder im Meer.
  • Sind Inseln wirklich die beste Zufluchtsmöglichkeit?
  • Wie sehr am Arsch sind eigentlich Astronauten im Orbit?
  • Warum funktionieren biologische, chemische und nukleare Waffen nicht? Wie genau funktioniert die Anatomie eines Zombies und sein Stoffwechsel?
  • Welche Kampfstrategien können entwickelt werden? Welche politischen Maßnahmen sind erfolgreich? Entstehen vielleicht Grenzkonflikte zwischen bestimmten Staaten aufgrund von Flüchtlingsströmen?
  • Wie sieht die Zivilisation nach einer Zombieinvasion aus?
  • Welche Staaten behaupten sich? Wie entwickeln sie sich nachher weiter? Wird es neue Großmächte nach so einer Invasion geben?
  • Und zu guter Letzt: Warum bricht eigentlich Chaos bei so einer Invasion aus? Und bekommt man überhaupt wirklich ALLE Zombies wieder von der Erdoberfläche weg?
An manche von diesen Überlegungen habe ich persönlich noch nie gedacht, zum Beispiel dass sich Israel und Kuba hervorragend auf eine derartige Attacke von Untoten einstellen könnten. Brooks stellt diese Überlegungen nicht nur an, sondern versucht kritisch über sie nachzudenken und sie vernünftig durch logische Argumente zu erklären. Paart man diesen Umstand nun mit den liebevoll gestalteten, zahllosen Charakteren und dem ambitionierten Erzählstil, erhält man so am Ende ein Zombiebuch, was sich immens spannend, interessant und mitreißend, zugleich auch erschreckend realistisch, emotional und clever liest. Der Film kann an diese vielschichtige Tiefenstruktur des Buches einfach nicht herankommen, da es (tut mir leid, Brad Pitt) einfach keine Hauptfigur gibt, geschweige denn einen linearen Handlungsablauf. Das, was ich vom Trailer gesehen habe, zeigt keine Verfilmung der Vorlage, sondern einen Actionfilm mit Zombies, mehr oder weniger basierend auf der Vorlage. Aber naja, ob man am Ende trotz der offenen Aspekte befriedigt oder unbefriedigt den Kinosaal verlässt oder das Buch zuklappt, hängt halt stark davon ab, was man sich von einem Film bzw. einem Buch (oder generell einer Geschichte) erwartet. Das Buch bleibt auf jeden Fall jedem zu empfehlen, der sich für Science Fiction, Fantasy, Thriller, Zombies oder Endzeitszenarien begeistert.

santi

31. Mai 2013

Men in Black 3


Habt ihr schon mal so etwas richtig Peinliches gemacht und euch gewünscht, im Boden zu versinken? Aber warum im Boden versinken? Es wäre doch viel effektiver, das Gedächtnis aller Beteiligten einfach auszulöschen. Am besten auch gleich mit einem Blitz-Dings aus dem Men in Black-Franchise. Ihr könnt es nicht leugnen, denn ich weiß, dass jeder von euch gerne so ein Gerät hätte! Und stellt euch vor, nach Men in Black 2 waren meine Erwartungen in den dritten Teil, welcher liebevoll MiB3 abgekürzt wurde, so gering, sodass ich bereits prophezeit habe, mich wahrscheinlich danach selber blitzdingsen zu wollen. Na mal schaun...




Im New York unserer Gegenwart (und wahrscheinlich noch an einigen anderen Orten auf der Erde) leben bereits seit Jahrzenten Aliens unter uns. Manchmal sogar wörtlich unter uns. Um nicht aufzufliegen und ihre Existenz geheim zu halten, versuchen sie sich mit unauffälligen und auffälligen Kostümen zu tarnen. Dies ist auch nötig, denn so gestört wie manche Menschen sind, würden sie entweder sofort in Panik ausbrechen ("Oh Gott, wir sind nicht allein!!!") oder sie mit Interviews und Fragen belagern. Vielleicht würden sie einige von ihnen sogar für Experimente einsperren. Solche kurzsichtigen Handlungen könnten aber weitreichende Folgen haben, da sonst ein interstellarer Krieg ausbräche. Eine illustre Organisation der Regierung weiß natürlich von diesen Außerirdischen und möchte deren Identitäten ebenfalls geheim halten. Obwohl die Regierung der USA dies selbstverständlich niemals zugeben würde. Diese Behörde stellt auch Visa für unseren Planeten aus, um die Aliens auf diese Weise während ihres Aufenthaltes überwachen zu können. Sollte sich ein Alien nicht bei ihnen um eine Aufenthaltsbewilligung melden, ist dessen Aufenthalt dementsprechend illegal und es darf der Erde verwiesen oder gar gefangengenommen werden. Immerhin geht es bei so einer extraterrestrischen Einreise auch um nationale und internationale Sicherheit. Diese Behörde trägt den Namen Men in Black und eigentlich kann man sie auch einfach als das Weltall-FBI der Erde bezeichnen.

Das ist mal die Grundstruktur des Franchise. Nun kam kurz vorm Sommer 2012 bereits der sage und schreibe dritte Film in die Kinos, und da das Franchise bereits seit über einem Jahrzehnt existiert hat und der zweite Film eher negative Kritik einstecken musste, dachte und hoffte man lange Zeit, die Ideen der Drehbuchautoren seien erschöpft und es werden keine neuen Filme mehr erscheinen. Die Comicvorlage erfreute sich dennoch weiterhin großer Beliebtheit. Im ersten Film erscheint bei den Men in Black der Neuzugang J, gespielt von Will Smith. Sein Mentor innerhalb der Organisation ist K, gespielt von Tommy Lee Jones, dem diese ausdruckslose Rolle hervorragend steht und man schon fast sagen könnte, dass sie ihm wie ein Smoking maßgeschneidert wurde. Ist "maßgeschneidert" eigentlich ein Verb? Ach, ich benutze es trotzdem. Fällt eh niemandem auf...

Nachdem im ersten Teil alles schön chaotisch den Zusehern nähergebracht wurde und J sich in die Organisation integriert hatte, ging der bereits in seine Jahre gekommene K in Pension und ließ sein Gedächtnis mit dem berühmten Blitzdings-Gerät löschen. Inhalt des zweiten Filmes ist es, K sein Gedächtnis wiederzubeschaffen und ihn erneut für die Organisation zu gewinnen. Im dritten Teil bricht nun ein Alien namens "Boris, das Tier" aus einem Hochsicherheitsgefängnis auf dem Mond aus, gelangt zurück auf die Erde und reist in die Vergangenheit zurück, um den jungen K, welcher für Boris' Festnahme verantwortlich war, zu eliminieren, damit er diese ganze Zeit nicht in Gefangenschaft verbringen muss und als Rache nun die menschliche Rasse auslöschen kann. Nach dem K aus unserer Gegenwart verschwunden ist, reist J (Gott, diese Buchstaben als Namen sind sau anstrengend) ebenfalls in die Vergangenheit, um eben genau dessen Ermordung zu verhindern und so das Raum-Zeit-Kontinuum aufrechtzuerhalten.


Josh Brolin verkörpert den jungen K grandios. Und er schafft es,
dieses ausdruckslose Gesicht den ganzen Film über beizubehalten!

Eines vorne weg: die Story ist wesentlich besser als die des zweiten Filmes und die Macher lassen sich immer neue und schrägere Aliens einfallen. Dies sind zwei Pluspunkte für den Film. Aber man merkt den ganzen Film hindurch, dass dieses Franchise wirklich keinen dritten Film mehr gebraucht hätte und dieser Streifen kein Ergebnis von ambitioniertem Storytelling ist, sondern man Geld scheffeln und keine einfallsreiche Geschichte erzählen wollte. Die Geschichte wurde quasi um die Gags herum konstruiert und nicht umgekehrt. Ja, sie ist besser als im zweiten Teil, aber eben auch nicht sonderlich gut. Besonders scheitern die Autoren mal wieder, wenn es um Zeitreisen geht. Und auch hier ist das Drehbuch mit Logikfehlern und simplen Zeitreiseausrutschern durchtränkt. Boris kann einfach nicht in die Vergangenheit reisen, um K umzubringen. Täte er dies, würde er ja nicht mehr im Gefängnis sitzen, um dann in der Zukunft K umbringen zu wollen und dementsprechend würde er dann die Reise in die Vergangenheit auch nicht mehr unternehmen. Natürlich kommen dann noch kleinere Ungereimtheiten wie "Schall im Weltraum" und "Die Wachen des Gefängnissen sind alle Idioten" vor. Aber diese Ausrutscher haben irgendwie einen Unterhaltungswert für sich.

Mir kam stellenweise auch der Gedanke, als ob die Macher an den falschen Stellen Zeit gespart hätten. So bleiben viele potenzielle Witzquellen ungenutzt und werden lieber mit Actionszenen ersetzt. Beispiel: Will Smith aka J reist ja in die 1960er der USA, wo es immer noch offenen Rassismus gegenüber Afro-Amerikaner gab. Er sollte es also relativ schwer haben, an Informationen zu kommen oder sich vollkommen frei im Alltag bewegen zu können. Aber nein, stattdessen gibt man dieses konfliktreiche Potenzial nur wenig Chance und baut diesbezüglich eine schwache Szene mit Autodiebstahl ein, welche zwar durchaus gelungen ist, aber naja...

Die größte Meisterleistung, die dem Film doch noch eine positive Kritik abverlangt, bewerkstelligt Josh Brolin (No Country for old Men, Milk, Mimic) als junger K der Vergangenheit. Das irgendjemand Tommy Lee Jones in jungen Jahren so authentisch wiedergeben kann wie er, bezweifle ich stark, und daher ist Josh das Highlight des Filmes. Von Tommy Lee sieht man leider nicht allzu viel und Will Smith, der 20 Minuten lang eine One-Man-Show abzieht, wirkt auch schon eher von den MiB-Filmen gelangweilt. Aber wahrscheinlich hatte er zu dem Zeitpunkt der Dreharbeiten keine anderweitigen Verpflichtungen in anderen Filmproduktionen zu erfüllen.

Wie dem auch sei, kommen wir zum Fazit. Men in Black 3 ist sehr leichte, aber auch sehr amüsante Kost mit einem soliden Cast, guter Optik, kreativen, wenn auch bereits sehr abgewetztem Humor, viel Fokus auf eben diesen Humor und auf Action, und unterhaltsamer, aber trotzdem immens schwacher Geschichte, die sich scheinbar vor Logik regelrecht verstecken will, damit der Plot funktioniert, und stattdessen lieber auf Randomness baut. Besser als der Vorgänger ist er auf jeden Fall, aber an den ersten Teil kommt er leider nicht heran. Solltet ihr den Film im Kino verpasst haben, macht dies also nichts, da ihr eigentlich nicht wirklich etwas verpasst habt. Am Abend im Fernsehen anschauen kann man ihn trotzdem.

Wie, euch gefällt mein Review nicht? *Sonnenbrille aufsetz* 
Dann schaut nur mal kurz hierher. *Bitz*

santi

23. Mai 2013

Iron Man 3

Endlose Filmfortsetzungen ala Saw, Fast & Farious und Paranormal Activity sind leider das Ergebnis eines Trends, in welchem es nicht mehr um originelle Drehbücher oder kreatives Storytelling geht, sondern nur noch um Money-Grabbing. Dementsprechend nimmt die Qualität von vielen Filmreihen zugunsten der Quantität mit jeder weiteren Fortsetzung drastisch ab. Umso erstaunlicher ist es dann, wenn tatsächlich mal ein zweiter, dritter oder sogar vierter Teil eines Filmes erscheint, bei welchem sich herausstellt, dass er nicht nur gut, sondern sogar besser als die Vorgänger ist!




Genau dies trifft auf den neuesten Superheldenfilm von Marvel zu, Iron Man 3. Noch actiongeladener wartet diese Fortsetzung mit einer erdrückenden Düsternis auf. Nach den Ereignissen in The Avengers fühlt sich Hauptfigur Tony Stark so stark (hihi Stark-stark, get it?) mit seinem Alter Ego Iron Man und seinem Kampfanzug verbunden, sodass er seine ganze Freizeit für dessen Modifikationen investiert und sich ohne Anzug immens angreifbar fühlt. Physisch, sowie psychisch. Dem nicht genug taucht auch noch ein weiterer Antagonist auf der Bühne auf, hervorragend gespielt von Guy Pearce. Dieser schwor sich nach einer verletzenden Absage Tonys bezüglich eines Interviews nicht nur persönliche Rache an eben diesen, sondern will mit einer neuentdeckten biologischen Waffe auch das internationale Waffengeschäft an sich reißen. Im Zuge der Auseinandersetzungen gegen fast unbesiegbare und biologisch mutierte Ex-Soldaten findet sich Tony schlussendlich in einer Situation wieder, in welcher er zeitweise vollkommen auf seinen Kampfanzug verzichten muss. Der dritte Teil der Filmserie legt seinen Hauptfokus darauf, wie Tony Stark auch ohne seinen Kampfanzug seinen Pflichten als Iron Man nachgeht. Er IST Iron Man! Sei es mit, oder ohne Anzug.

Nicht nur wirkt der Film düsterer als seine Vorgänger, er hat auch (bedingt durch den neuen Regisseur Shane Black) das lockere Comicfeeling aufgegeben. Man fiebert nun wirklich für Tony mit, welcher verletzlich und schutzlos ohne seinen Anzug versucht seine Superheldenidentität zu definieren. Es hängt eine permanente Gefahr in der Luft, dass das Abenteuer vielleicht doch nicht gut für den Protagonisten ausgehen könnte. Die Effekte werden dank wachsender Erfahrung seitens Marvel Studios und immer besser werdenden Computerprogrammen ebenfalls immer anschaulicher, und die Schauspieler spielen alle durch die Bank solide.

Alles in allem kann ich wohl getrost sagen, dass Iron Man 3 seine beiden Vorgänger in jeder Hinsicht übertrieft und als das bis dato erwachsenste Werk der Marvel Filmstudios fungiert. Einzig allein die sehr willkürliche Vernachlässigung von Physik, Biologie oder generell Realismus könnte man anprangern, oder das Iron Man am Ende des Filmes doch keinen Sidekick bekommt, wie ich so sehr erhofft habe. Aber als Superhelden-, Marvel-, Actionfilm- oder Science Fiction-Fan ist dieser Film fast schon ein Must-See, und auch für den Otto Normalverbraucher des Filmeschauens effektive Unterhaltung.


santi

PS: Auf jeden Fall nach den Credits noch im Saal bleiben!

14. Mai 2013

Life of Pi

Erst 3 Artikel in 4 Monaten? Daran sollte dringend etwas geändert werden. Aber ich muss euch beichten, dass mir in letzter Zeit Schreiben sehr wenig Spaß gemacht hat. Es ist von einem Hobby über viele Monate hinweg neben meinem Studium fast schon zu einer zweiten Arbeit mutiert, welche ich mir selbst wie eine Pflicht auferlegt habe. Die Liste der noch zu schreibenden Reviews wird zusätzlich dazu ebenfalls immer länger und länger, und dementsprechend wird das Schreiben demotivierender, wenn ich diesen riesigen Entwurfhaufen betrachte. Je mehr man zu erledigen hat, desto weniger schafft man am Ende. Und auch die Attitüde, "Das mach ich dann halt morgen", schleicht sich hinterhältig ins Unterbewusstsein ein. Dieses Phänomen kennen sicher ein paar von euch, liebe Leser. Sogar einen "Sendeplan" habe ich mir für Februar und April erstellt, aber diesen ebenfalls undiszipliniert wieder verworfen. Mein Blog soll keine Arbeit für mich sein, sondern mir Spaß machen! Darum beschloss ich kurzerhand, einfach kleine Schritte zu tätigen, mir nicht zu viel vorzunehmen und wieder einen Artikel nach dem anderen zu schreiben, ohne mir jedes Mal denken zu müssen, "Oh Gott, ich muss schnell ein Review zu diesem Film schreiben, sonst läuft er am Ende nicht mehr in den Kinos!" Pustekuchen, sag ich euch! Mit dieser Einstellung ist jetzt hoffentlich Schluss! Genau aus diesem Grund habe ich den Film Life of Pi als Reboot-Artikel ausgewählt.

Namensgebend für den Film ist Pi (ausgesprochen wie das englische Wort für Kuchen, meint aber tatsächlich die mathematische Kreiszahl), ein Mann indischer Abstammung, welcher sich zu Beginn des Filmes in Montreal, Kanada in einem Interview mit einem Buchautor befindet. Diesen Autor können wir gerne Santi nennen, da er praktischerweise das gleiche Problem hat wie ich (und ich mich nicht mehr an seinen Namen erinnern kann): er leidet an einer massiven Schreibblockade. Über mehrere Ecken hinweg hat Santi erfahren, dass Pi eine atemberaubende, unglaubliche Geschichte zu erzählen hat, welche bis dato viele Menschen inspiriert und ihnen teilweise sogar den Glauben an Gott wiedergegeben hat, sobald Pi seine Geschichte fertigerzählt hat. So treffen sich Santi und Pi nun zum Essen und zum im Park spazieren Gehen, damit Pi mit seiner Geschichte vielleicht auch Santi wieder seine Inspiration zurückgeben kann.




Die Geschichte beginnt mit Pi's Kindheit und Jugend. Er wuchs in Indien auf, absolvierte die Schule, zoffte sich ab und an mit seinen Eltern, übte früh eine Faszination für die großen Religionen dieser Welt aus, verliebte sich zum ersten Mal. Eigentlich recht standard, aber er war glücklich mit seinem Leben. Um Geld zu verdienen, betrieb sein Vater einen Zoo. Da dieser sich nach vielen Jahren leider nicht mehr rentiert hat, beschloss sich sein Vater, mit der ganzen Familie samt Zoo in die Vereinigten Staaten von Amerika zu reisen. Dort sollte man die Tiere an die dortigen Tiergärten verkaufen und sich mit dem gewonnen Geld in Kanada ein neues Leben aufbauen. Die Schicksalsgötter hatten aber andere Pläne und entfesselten während der marinen Überfahrt einen Sturm, welcher das Schiff samt tierischer Ladung und den meisten Reisenden an Bord zum Kentern und kurz darauf zum Sinken brachte. Pi konnte sich während dieser Tragödie auf ein Rettungsboot retten, merkte aber früh, dass er auf diesem nicht alleine war. Am ersten Tag teilte er sein Vehikel noch mit einem Orang-Utan, einem Zebra, einer Hyäne und, zu diesem Zeitpunkt noch unwissenderweise, mit einem Tiger. Die Hyäne machte sich prompt auch schon über Zebra und Orang-Utan her, der Tiger schließlich über die Hyäne und die Reste der anderen beiden Tiere. Pi war von nun an gezwungen, auf einem selbstgebastelten Floß neben dem Rettungsboot herzutreiben, da dieses nun das Territorium des Tigers war.

Somit begann für Pi ein Kampf ums Überleben. Nicht nur musste er Hunger, Durst, Wellen, Stürmen, Einsamkeit und der Hitze der Sonne trotzen, sondern auch lernen, mit dem Tiger umzugehen. Leider liegt der Fokus des Filmes sehr auf dieser Mensch-wildes-Tier-Beziehung und es werden nur wenige wirkliche Momente gezeigt, in welchen Pi fischt, sich ein provisorisches Dach bastelt oder sonst was überlebensnotwendiges praktiziert. Der eigentliche Überlebenskampf gegen die Gewalten der Natur werden gezielt in den Hintergrund gerückt, was ich persönlich halt ein bisschen schade finde. Meine Enttäuschung fußte aber in der Erwartung, einen moderneren Robinson Crusoe zu sehen, und soll eigentlich kein negativer Kritikpunkt sein, da diese Interpretation von "Gefangen sein auf einem Rettungsboot mit einem Tiger" durchaus interessant sind. Life of Pi geht bewusst in eine andere, sehr "fantastische" und märchenhafte Richtung, was man immens an der in der Geschichte vermittelten Spiritualität und der Optik des Filmes erkennt. Beispiele hierfür reichen von menschenfressenden Inseln, über die in allen möglichen Farben des Regenbogens leuchtende Fauna und Flora des Meeres, bis hin zu Pi's Faszination von Religionen, die er quasi schon sammelt wie andere Leute Pokemon fangen. Und hier geht der Regisseur (ich habe die Buchvorlage nicht gelesen) einen sehr gewagten Schritt, da anscheinend in jeder Situation im Leben etwas philosophisches zu finden ist. Seien es nun Jesus, Jehova, Allah, Ganesh oder Buddha, einer von ihnen ist immer präsent und möchte den Menschen Botschaften zukommen lassen.

Wie zu Beginn schon erwähnt, will Pi mit seiner Geschichte Santi seinen Glauben an das Fantastische, vielleicht sogar an Gott zurückgeben. Pi erzählt weiter von seiner Rettung nach knapp 200 Tagen auf Hoher See und dem anschließenden Interview der japanischen Versicherungsgesellschaft, welche herauszufinden versucht, warum das Schiff untergegangen ist. Pi's Geschichte mit dem Tiger, der Hyäne, dem Zebra und den unzähligen märchenhaften, fast schon an reine Erfindung grenzenden Geschehnissen lassen die japanischen Versicherungsbeamten skeptisch werden und fragen Pi, ob sich seine ganze "Reise" wirklich so zugetragen hat, wie er sagt. (Es ist immens schwer über diesen Film objektiv zu reden, ohne etwas zu spoilern). Pi sah ein, dass diese Beamten ihm nicht glaubten, er wollte sie aber "glauben" machen lassen. Er präsentierte ihnen eine zweite, abgeänderte Version, in welcher er sich mit dem Schiffskoch, einem Matrosen und noch jemanden auf das Rettungsboot evakuieren konnte. Nach kurzer Zeit begannen die anderen aber, genau wie die Hyäne und der Tiger, aufeinander loszugehen. Sei dies nun durch Streit, durch Hunger oder durch mentalen Stress passiert. Pi wurde mit dieser Realität nicht fertig und erfand sich daher bewusst die Tiere herbei, um die Geschehnisse zu entmenschlichen. Auf die Frage, welche Variante der Geschichte nun besser gefiele, antworteten bis zu diesem Zeitpunkt alle von Pi's Zuhörern: die Beamten, Santi, seine Freunde, etc.; sie alle antworteten, dass ihnen die Tigervariante besser gefiele. Vielleicht weil die Brutalität des Menschen durch diese Interpretation zumindest erzählerisch getilgt wurde. Die Menschen entschieden sich bewusst für das Unglaubliche, das Fantastische, "und so ist es auch mit Gott", lautet Pi's finaler Satz in seiner Erzählung.


"*Rawr* Ich bin eine Mietze-Katze!"

Der Film ist im Gegensatz zu diesen spirituellen Ansätzen des Plots ironischerweise ein sehr technischer Film. Es wurde zum Beispiel fast nie unter freiem Himmel gedreht und wie bei Titanic damals wurde ein großer Pool gebaut. Alle Tiere sind überaus gelungene, trotzdem eindeutig erkennbare Kreationen von Computerprogrammen, und vieles mehr, von Wetter bis Requisiten (stellenweise sogar das Boot), sind Produkte der Spezialeffekte. Besonders die Visualisierung des Tigers wurde hochgelobt, gewann sogar einen Oscar und ja, es sieht alles unglaublich gut aus, aber trotzdem erkennt man ständig, dass es sich um Effekte handelt. Im Vergleich dazu Jurassic Park oder Iron Man, in denen die Dinosaurier oder die Kampfanzüge umwerfend realistisch aussahen. In einem Zeitalter, in welchem man schon fast lebensechte Animationen erzeugen kann, wirkt der Film leider sehr künstlich. Nichtsdestotrotz sieht der Film gut aus und macht ENDLICH wieder seit Avatar: Aufbruch nach Pandora intelligenten und gekonnten Gebrauch der 3D-Technologie. Zwar ist dieser absolut nicht notwendig gewesen, aber die ein oder andere Kameraeinstellung (Ach, das Schiffswrack *schwärm*) wird dadurch sehr bereichert. Genauso handhabt es sich mit der musikalischen Hintergrunduntermalung, welche die Szenerien immer passend, aber nicht aufdringlich begleiten. Für die besten Effekte und die beste Filmmusik hat der Film verdient den Oscar erhalten. Den Gewinn für die beste Kamera, hm, ja, es gibt schon schöne, einprägsame Einstellungen und manche von denen bleiben einem sicher in Erinnerung, aber dies kann man durchaus anfechten, da einfach so vieles aus dem Computer entspringt...

Hm, habe ich nun zu Gott wiedergefunden? Wohl kaum. Ist meine Kreativität oder meine Motivation zu neuem Leben erwacht? Wir können es nur hoffen. Will man sich Life of Pi ansehen, und ich will auf keinen Fall jemandem davon abraten, sollte man davor gefeit sein, dass es sich nicht um einen actiongeladenen Survival-Thriller handelt, sondern um einen in manchen Belangen langatmigen Film, der eine Reise, eine Selbstfindung, eine philosophische Idee, ein Märchen erzählen will. Dessen Umsetzung macht den Film zwar nicht zum besten des Jahres, aber zumindest zu einem sehr sehenswerten und, meines Erachtens, zu einem der besten 2012.

santi

20. März 2013

Les Misérables

Stellt euch vor, es ist Revolution und keiner geht hin. Stellt euch vor, ihr müsstet euch zwischen der Loyalität zu euren Freunden und der Liebe eures Lebens entscheiden. Stellt euch vor, es gebe nur noch eine einzige Möglichkeit eurer Kind zu ernähren und ein Dach über dem Kopf zu geben. Stellt euch vor, ihr hättet eurem besten Freund bereits mehrmals eure Zuneigung gestanden, diese aber trotz massiver Selbstaufopferung niemals erwidert bekommen. Und stellt euch vor, euer schlimmster Erzfeind rettet euch das Leben. Übt ihr weiter Hass auf ihn aus oder vergebt ihr ihm? Wie würdet ihr reagieren? In Les Misérables sehen sich die vielen Hauptcharaktere mit diesen Szenarien konfrontiert und müssen sich oftmals zwischen Pest und Cholera entscheiden. Daher auch der "elendige" Titel, "Die, denen es miserabel ergeht". Passend zur diesjährigen Oscar-Verleihung vor inzwischen schon etwas längerer Zeit, 4 Wochen in etwa, habe ich jetzt endlich einen der vielen prämierten Filme zu Gesicht bekommen! Und im Gegensatz zu dem Jahr 2004, in welchem Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs alle Konkurrenten vom Platz gefegt hat, gab es dieses Jahr keinen wirklich großen Gewinner. Also mal sehen, ob zumindest das Musical-Epos Les Misérables seine Auszeichnungen verdient hat...




Das Stück bzw. der Film beginnt in Frankreich um zirka 1815. Also nicht allzu lange nach der französischen Revolution. Der Großteil der Bevölkerung lebt nach wie vor in Armut und kämpft jeden Tag aufs neue ums Überleben. Die erste Szene zeigt die Freilassung Jean Valjeans (Hugh Jackman), welcher 19 Jahre gesetzlich auferlegte Zwangsarbeit absolvierte, da er für seinen hungernden Neffen ein Laib Brot gestohlen hat und anschließend vor der Exekutive fliehen wollte. Freigelassen wird er von Oberaufseher Javert (Russell Crowe) leider nicht ganz. Javert entwickelte seit seiner Kindheit nämlich wegen negativen Erfahrungen eine derartige Wut auf die soziale Unterschicht und generell Gesetzesbrechern, sodass er seine Abneigung gegenüber dieser Bevölkerungsgruppe nun an Valjean auslässt und diesen in seinen persönlichen Papieren als Dieb und Gefahr für die Gesellschaft brandmarkt. Und um das Fass zum Überlaufen zu bringen, setzt er Valjean nur auf Bewährung frei, sodass sich dieser wöchentlich bei einem Polizeiamt zu melden hat. Dementsprechend schlecht läuft auch Valjeans darauffolgende Jobsuche und sein einziger Ausweg aus der Hungersnot und Obdachlosigkeit ist es abermals zu stehlen. Doch dieses Mal verzeiht ihm sein Opfer und Valjean schwört sich, die gestohlene Ware dazu zu verwenden, ein besserer und vorbildlicher Mensch zu werden, welcher anderen, soweit es möglich ist, zu helfen versucht. Mit seinen Papieren kann er dies leider nicht und so taucht er illegal eine Weile unter und nimmt eine neue Identität an.

Ein großer Zeitsprung von mehreren Jahren findet in der Erzählung statt und setzt ein, als eine junge Mutter, Angestellte einer Textilfabrik, von dem dortigen Personalmanager gefeuert wird. Es stellt sich heraus, dass Valjean Chef dieser Fabrik und sogar Bürgermeister der Stadt geworden ist. Zeitgleich trifft Valjean auf Javert, welcher ebenfalls in der Karriereleiter zum Oberpolizeiinspektor (oder sowas) hochkletterte und seinen entflohenen Ex-Sträfling, der sich ja nicht mehr bei den behördlichen Institutionen gemeldet und somit gegen seine Bewehrungsauflagen verstoßen hat, immer noch sucht. Doch erkennt Javert Valjean nicht sofort als eben diesen Ex-Sträfling. Die vorhin erwähnte Mutter namens Fantine (Anne Hathaway) kann seit ihrer Kündigung ihr Kind nicht mehr ernähren und da es Frauen im Frankreich des 19. Jahrhunderts ohne Ehemann generell etwas schwerer haben (um es euphemistisch auszudrücken), sieht sie keinen anderen Ausweg als in die Prostitution. Dort wird sie zufällig von Valjean (der Typ läuft verdammt oft zufällig in ältere Bekanntschaften...) entdeckt und aufgrund ihrer physischen Verfassung in ein Krankenhaus gebracht. Dort beichtet sie Valjean, dass sie das alles nur tat um ihre Tochter Cosette vor so einem Leben zu schützen, stirbt aber noch in derselben Nacht. Valjean, welchem wegen Fantines Kündigung ein immens schlechtes Gewissen plagt, will seine Schuld ihr gegenüber begleichen, sucht ihre Tochter auf und will diese unter anständigen Bedingungen großziehen. Doch mittlerweile ist ihm Javert auf die Schliche gekommen und Valjean muss mit seiner selbsternannten Tochter schon wieder in den Untergrund abtauchen.


Jean Valjean (Hugh Jackman) bei der Zwangsarbeit. 
Mir gefällt der dezente Regenbogen links im Bild.


Ein weiterer Zeitsprung von mehreren Jahren erfolgt und glaubt es, oder nicht, dass war erst mal nur die Vorgeschichte und die erste Dreiviertelstunde des Filmes! Im nächsten Akt kommen sogar noch 5 Charaktere und doppelt so viele zwischenmenschliche Beziehungen dazu. Cosette verliebt sich in einen jungen Studenten namens Marius, dieser auch in sie. Marius ist sehr politisch und kritisch gegenüber Staat und Königshaus, und will mit Freunden eine zweite französische Revolution anzetteln. Éponine, beste Freundin Marius' und ehemalige Stiefschwester Cosettes, ist irrsinnig verknallt in genau diesen, wurde aber von ihm in die Friendzone geschickt. Cosettes ehemalige Stief-/Pflegeeltern wollen ihre Tochter zurück bzw. Valjean ob seines Geheimnisses erpressen und schicken deshalb Javert dem untergetauchten Valjean auf den Hals. Und und und. Wenn ich hier jeden Charakter in die Inhaltsangabe einbinden würde, sitze ich bis zur nächsten Oscar-Nacht noch hier, und darauf habe ich nicht ganz so viel Lust. Die Tiefe und Komplexität ist auf jeden Fall ein sehr großer Pluspunkt für den Film, würde aber den Rahmen eines Onlinereviews sprengen. Daher breche ich an dieser Stelle mit der Inhaltsangabe ab. Merkt euch trotzdem: die Story ist top! Obwohl sie andererseits durch die Anzahl der handelnden Figuren sehr verstreut wird. Manchmal hätte ich doch mehr über die ein oder andere Person und ihre inneren Konflikte bzw. über ihre Konflikte mit anderen Personen erfahren. Denn für einen 2 1/2 Stunden-Film ist die Handlung schon fast zu tief und komplex, um in der notwendigen Zeit erzählt zu werden. Viel zu gern hätte ich mehr Szenen zwischen Javert und Valjean gesehen. *seufz* Interessanterweise scheint dies den Produzenten aber durchaus klar gewesen zu sein, da die meisten Charaktere von ihrer Persönlichkeit doch sehr flach und fast schon klischeebeladen gehalten wurden. Dies könnte aber wiederrum auf die Originalvorlage Les Misérables, ein Roman von Victor Hugo von 1862, zurückzuführen sein.

Aber eigentlich basiert der Film ja gar nicht auf dem Buch, sondern auf dem Musical zu dem Buch! Irgendwer dachte sich wohl (zurecht), es sei eine super Idee aus der Buchvorlage ein Schauspiel mit Gesang zu produzieren. Und gesungen wird in dem Film sehr viel! Um genau zu sein, kann man die gesprochenen Sätze an zwei Händen abzählen, aber dies macht in den meisten Fällen nichts, da alle Schauspieler scheinbar intensiven Gesangsunterricht nahmen und unglaublich gut singen können! Natürlich bleibt es Geschmackssache, ob einem der Gesang gefällt, aber abzustreiten, dass die Darsteller gut singen können, sollte einem doch recht schwerfallen. Einzig bei den choralen Passagen wären Untertitel nett gewesen, da bei diesen doch das ein oder andere Wort verschluckt wird bzw. diese Passagen für Nicht-Muttersprachler der englischen Sprache nicht ganz so leicht zu verstehen sind. Dennoch würde ich die originale englische Kinoversion der deutschen vorziehen, da die Texte einfach besser auf die Buchvorlage abgestimmt wurden.


Vive la France!

Nun zu den Oscars. Les Misérables gewann Oscars in den Kategorien bestes Make-Up und Hairstyling, bester Tonschnitt und beste Nebendarstellerin. Gut, zum ersten Punkt, kurz und schmerzlos: die Darsteller wurden wirklich so hergerichtet, wie man sich die soziale Unterschicht des 19. Jahrhunderts vorstellt. Spitzenarbeit! Warum der Film aber in der Ausstattung nicht gewonnen hat, überrascht eher wenig. Vor allem, da die Räumlichkeiten und sonstigen Requisiten genau wie beim Musical sehr provisorisch und minimal eingesetzt wurden. Der Fokus wurde hier eindeutig auf die Inszenierung der Charaktere gelegt, was man übrigens ebenfalls an Tom Hoopers (bekannt für The King's Speech) typischer, dezentraler Kamerapositionierung erkennt. Die Gesichter der Figuren sind sehr oft nah vor der Kamera in Großaufnahme und leicht vom Zentrum verrückt, sodass man stets noch einen Blick auf das Geschehen hinter diesen Personen hat. So erlebt man die Charaktere viel mehr in ihrem situationsadäquaten Kontext und sie wirken dadurch wesentlich menschlicher.

Der Oscar für besten Tonschnitt war wohl für ein verfilmtes Musical zu erwarten, warum zur Hölle das singende Starensemble bizarrerweise nicht auch den Oscar für die beste Filmmusik erhielt, bleibt mir trotzdem schleierhaft... Ich mein, das ist ein Musikfilm! Mir kann keiner erzählen, dass andere Filme mehr Arbeit und Ambition in ihre Filmmusik gesteckt haben als dieser hier. Man, man, man... nichts mehr hinzuzufügen, denn die Musik ist das wohl größte Highlight in Les Misérables. Eine Schande, dass sie nicht beste Filmmusik erhielten, bleibt einem doch noch lange nach dem Kinobesuch ein Ohrwurm von dem ein oder anderen Lied.

Und nun zu dem wohl umstrittensten Oscar, über den man diskutieren kann, und über welchen in vielen Foren und Onlinefilmdatenbanken hitzig debattiert wird: beste Nebendarstellerin.
Let the Flame-War begin! 
NEIN! Einfach nur NEIN! Anne Hathaway hat gerade einmal 25 Minuten Leinwandpräsenz, wenn es hochkommt. Dafür verdient man keinen Oscar, NEIN! Die Schauspieler singen und spielen ihre Rollen alle mit immens großer Hingabe und befinden sich durchschnittlich auf dem selben Niveau. Anne Hathaway spielt weiß Gott nicht besser. Besonders ihre erste Szene in der Fabrik war unglaublich schwach. Da habe ich den wirklichen Nebendarstellern (diejenigen, die in den Credits gaaaaanz unten erst erscheinen) ihre Rollen noch viel eher abgekauft! Sie bekam genau für eine, ich wiederhole, eine einzige Szene den Oscar. Nämlich für ihre Interpretation des Liedes I dreamed a Dream. Und ja, sie singt dieses Lied außerirdisch schön und mit viel Emotion. Aber nur weil sie 5 Minuten lang auf die Tränendrüse drückt, hat sie vielleicht eine herzliche Umarmung, einen Blumenstrauß oder viel Applaus verdient, meinetwegen auch Standing Ovations, aber gleich eine so hochanerkannte Auszeichnung??? In den letzten Jahren entwickelt sich in Hollywood allmählich der Trend, Oscars nicht wegen herausragende schauspielerische Leistungen, sondern wegen dem Lebenswerk der letzten Jahre zu vergeben. Sandra Bullock hat in Blind Side 2009 auch nicht überdimensional gut gespielt, sondern ihren Oscar nur erhalten, weil sie schon in unzähligen Filmen davor mitspielte und es "angeblich"(!) längst überfällig war. Diese Meinung teile ich einfach nicht und ja, na gut, kann nix dagegen machen. Aber bitte formt euch diesbezüglich selbst eine Meinung. Schauspielerische Leistungen sind wie immer subjektive Einschätzungen des Betrachters und können genau wie bei Gesang/Musik verschieden sein. Anne Hathaway ist auf jeden Fall richtig gecastet und spielt super, keine Frage! Oscar hätte ich ihr trotzdem keinen gegeben.

Jetzt habe ich aber auch schon genug geredet und euch gelangweilt, und komme lieber prompt zu meiner Empfehlung: wenn euch der Gedanke an permanentes Singen abschrecken sollte, oder ihr generell keine Musicals mögt, dann werdet ihr mit diesem Film wohl wenig Freude haben. Der große, außergewöhnliche Blockbuster ist Les Misérables meiner Meinung nach nicht geworden, aber dank der Handlung und der überaus gekonnten Inszenierung ein guter Film und durchaus einen Kinobesuch wert. Für Musical-Fans ist dieser Film sowieso ein Must-See!

santi



Post Scriptum:
Hier habt ihr noch ein paar Links zu Bildern, welche Tom Hoopers typische Kameraführung, welche man auch in The King's Speech reichlich zu sehen bekommt, veranschaulichen sollen. Er verwendet sie zwar gerne, aber selbstverständlich nicht exzessiv.

5. Februar 2013

World of Warcraft: Teufelskreis

Manchmal habe ich das Gefühl, das Schreiben verlernt zu haben. Alles ist fertiggeschrieben, aber einen Anfang für meinen Artikel habe ich immer noch keinen. Die Einfallslosigkeit plagt mich regelrecht. Peinigt meine Seele. Und aus meiner Verzweiflung leite ich diesen Blogeintrag einfach mit einer Abwandlung des ersten Liedes ein, was mir durch den Kopf geht.

In einem weitentfernten Land
Vor gar nicht allzu langer Zeit
War eine Zauberin sehr bekannt
Von der sprach alles weit und breit

Und diese Zauberin, die ich meine, nennt sich Jaina
Kleine, freche, schlaue Jaina Proudmoore
Jaina teleportiert sich durch ihre Welt
Zeigt uns das was ihr gefällt 

Wir treffen heute uns‘re Freundin Jaina Proudmoore
etc etc...

Ich weiß wirklich nicht, warum man mich auf die Menschheit loslässt. Aber halt! Was sagt ihr da? Euch kommt die Melodie dieses Liedes bekannt vor? Genau! Das ist eine Abwandlung von Biene Maja und hat mit dem Thema dieses Textes überhaupt nix zu tun! xD Und so manchem von euch wird der fiktive Charakter Jaina Proudmoore wohl ebenfalls ein Begriff sein. Aber für diejenigen, denen dieser Name unbekannt ist (nur wahre Warcraft-Geeks werden mit diesem Namen etwas anfangen können), eine schnelle Erklärung: Jaina Proudmoore ist eine mächtige, menschliche Zauberin in der fiktiven Welt Azeroth im Warcraft-Universum. Warcraft selbst ist ein Videospiel-Franchise der Firma Blizzard (die prominentesten Spiele(-serien) wären Warcraft, Diablo und Starcraft), zu welchem bereits eine Reihe von Büchern verfasst wurden, um den Fans mehr Hintergrundinformationen bieten zu können. Wie der Zufall nun so will, ist genau diese Zauberin die Hauptakteurin in einem dieser Bücher, World of Warcraft: Teufelskreis. Und ich muss sagen, ich habe schon lange nicht mehr so ein beschissenes Buch gelesen...




Die gesamte Geschichte von Warcraft mag ich jetzt nicht niederschreiben, aber für die, die sich damit nicht so gut auskennen, hier eine Zusammenfassung in Stichworten: Fiktive Welt Azeroth (so wie unsere Erde halt) - vorherrschende Rasse sind die Menschen - Orks kommen aus einer anderen Welt nach Azeroth - Krieg zwischen Menschen und Orks - Dämonen kommen nach Azeroth um es zu zerstören - gemeinsamer Feind: Menschen und Orks kämpfen gemeinsam gegen Dämonen - Dämonen werden besiegt.

Die Handlung des Buches beginnt rund 3 Jahre nach den Ereignissen von Warcraft 3: The frozen Throne. Menschen und Orks versuchen seit der Bezwingung der Dämonen der brennenden Legion in Frieden miteinander auf dem Kontinent Kalimdor zu leben. Der Friede ist aber trügerisch und nach und nach kommt es zu mehreren verbalen, und später auch zu gewalttätigeren Auseinandersetzungen der beiden Völker. Missmut und Neid schwächen das neue Völkerbündnis und der alte Rassenhass keimt langsam wieder auf. Oder steckt vielleicht doch eine Verschwörung dahinter?

Hier beginnt meine Kritik auch schon! Denn bei diesem Buch handelt es sich leider um eine 0815-Geschichte und wenn man schon einmal einen Fantasyroman bzw. Fantasythriller gelesen hat, weiß man von vorne bis hinten, was passieren wird. Was mir ebenfalls negativ aufgefallen ist, dass man unglaublich viel Hintergrundwissen benötigt, um die Geschichte und die Beziehungen der Charaktere zu einander zu verstehen. Zumindest das Echtzeitstrategiespiel Warcraft 3 gespielt zu haben, ist ein Muss, damit einem dieses Buch Spaß macht. Und selbst dann empfehle ich, zuerst das Buch Warcraft: Der letzte Wächter zu lesen, da in diesem viel mehr Informationen zu den Wächtern der Tirisfalen vorhanden ist als in diesem hier.

Der Stil des Textes selbst ist eigentlich ganz interessant. Zwar ist Jaina Proudmoore die eindeutige Heldin der Geschichte, aber jedes Kapitel wird aus der Perspektive einer anderen Person geschildert. Bei 24 Kapiteln verwendet der Autor sage und schreibe 16 verschiedene Perspektiven, wenn ich mich nicht verzählt habe. Dadurch kommt einem die Welt in dem Roman immens belebt vor, aber die Entwicklung und Darstellung der Hauptcharaktere leidet immens darunter, da diese nicht genügend Aufmerksamkeit und Zeit bekommen, um sich zu entfalten. Die Kürze des Buches (gerade einmal 300 Seiten) trägt leider dazu bei, dass die handelnden Personen noch mehr untergehen. So werden in einigen Kapitel neue Charaktere mit recht stereotypen Hintergrundgeschichten vorgestellt und später nie wieder erwähnt. Sie werden einfach fallen gelassen und dienten nur als Medium um für ds Verständnis des Lesers eine zusätzliche Szene einzubauen. Wie gesagt, der Stil ist interessant, aber in Anbetracht der Kürze des Buches eigentlich totaler Schwachsinn und zeugt von einer unglaublichen Faulheit seitens des Autors, eine Geschichte gut zu erzählen. Denn durch diesen permanenten Szenenwechsel behilft sich der Autor selbst, keine komplexe Story konstruieren zu müssen und wichtige Informationen in diesen einzelnen Szenen zu verpacken. Sehr geschickt, aber ich als Leser komme mir sehr meiner Zeit beraubt vor.

Auch tauchen stellenweise unglaubliche Logikfehler auf, bei welchen man sich wahrhaftig an die Stirn greifen mag. Zum Beispiel: *Spoileralarm* Angezettelt von einem Verräter der Orks kommt es zu einem kleinen kriegerischen Intermezzo zwischen Orks und Menschen. Thrall, der Kriegshäuptling der Orks, kommt dem Verräter auf die Spur, fliegt per Luftschiff zu der Schlacht, tötet den Verräter, entschuldigt sich beim Hauptmann der Menschen und die Orks ziehen wieder ab. BITTE WAS?! Da prügeln sich gerade 1000 Orks und Menschen miteinander, sind unglaublich Wut geladen und Blut durstig, Thrall taucht auf einmal auf, sagt "Sorry, unser Fehler. Wir zischen wieder ab.", und das war's dann?!?! *Spoilerende* Hm, kommt es nur mir so vor oder scheint diese ganze Szene nicht sehr durchdacht zu sein? Generell kommen die handelnden Personen viel zu schnell zu Schlussfolgerung, ohne eigentlich großartige Untersuchungen oder eine Suche nach Beweisen durchzuführen. Gepaart mit dem Verschleiß an Charakteren wirkt dieser Roman daher eher wie ein Fan-Fiction eines 15-Jährigen als wie ein in Auftrag gegebenes, professionell verfasstes Buch.

Apropos, noch ein Wort zum eigentlichen Buch, welches ebenfalls einige Mankos aufweist. Erstens gibt es unglaublich viele Rechtschreib-, Tipp- und Grammatikfehler. Wie geht das bitte? Der Übersetzer hat sich offenbar nicht eine Spur Mühe gemacht, sinngerecht zu übersetzen, und den Text durch die Google- oder Microsoft Word Übersetzungsmaschine laufen lassen. Die Verdeutschung mancher Namen ist unglaublich sinnfrei und erzeugt nur unnötige Verwirrungen und Hemmungen im Lesefluss. Warum man Jaina Proudmoore als Jaina Prachtmeer übersetzt hat, werde ich wohl nie durchschauen. Diese Entscheidung war ein eindeutiger Griff ins Klo. Zweitens wird meine vorige These des Fan Fiction ebenfalls durch das Buch bzw. den Schnitt des Textes bestätigt. Denn die Abstände zwischen Text und Seitenrand sind seltsam großzügig. Gerade einmal zwei Drittel der Fläche einer Seite sind bedruckt worden. Dies ist nicht nur Papierverschwendung (in englischen Bücher druckt man für gewöhnlich bis tief in die Buchfalte hinein, um Papier zu sparen), sondern führt mich auch zu der Erkenntnis, dass es sich gar nicht wirklich um 300 Seiten, sondern (wenn man das 2/3-Faktum berücksichtigt) um lediglich 200 Seiten handelt. Auf so wenige Seiten kann man nun mal keine komplexe Geschichte erzählen. Es wirkt einfach so, als ob der Verlag das Buch durch den speziellen Druck ein bisschen dicker aussehen lassen wollte. Und warum konnte man keine kleine Karte dem Buch beilegen? Ich habe zwar die ersten drei Warcraft-Bücher gelesen und Warcraft 3: Reign of Chaos und The frozen Throne gespielt, aber wie die geographische Beschaffenheit der Welt aussieht weiß ich immer noch nicht. Eine Karte wäre ganz nett gewesen.

Alles in allem bereue ich persönlich den Kauf des Buches nicht und trotz der vielen Negativpunkte, auch nicht, es gelesen zu haben. Es handelt sich hier lediglich um einen netten Ausflug in die Welt von Azeroth und man verpasst absolut NICHTS, sollte man diesen Titel hier nicht gelesen haben. Das Buch bringt die globale Hintergrundgeschichte des Franchise kaum voran (einzig die Rückkehr Aegwynns und die Neuentstehung der brennenden Klinge sind erwähnenswert), sondern beschreibt nur einen kurzen Auszug nach The frozen Throne, welcher keinen Einfluss auf irgendwas im Warcraft-Universum hat. Nach Beendigung des Buches wird der Leser feststellen, dass er eigentlich immer noch bei Null steht, genau wie zu Beginn des Buches. Dieser Roman ist für wahre Warcraft-Fans und Jugendliche empfehlenswert, andere Leute sollten hingegen auf jeden Fall die Finger davon lassen bzw. als Einstieg in die Buchserie sich einen anderen Warcraft-Roman aussuchen. Falls sich jemand doch für Teufelskreis entscheiden sollte, auf jeden Fall die englische Version nehmen!

santi

23. Januar 2013

Whores' Glory

Thriller        Check!
Action         Check!
Sci Fi          Check!
Fantasy       Check!
Superhelden Check!
Drama         Check!
Komödie     Check!
Dokumentation ... Hm, einen Dokumentarfilm reviewte ich in der Tat noch nie. Habe auch keine Ahnung wie ich sowas bewerkstelligen soll. Könnte also interessant werden. Und genau wie zu meinem Artikel Beasts of the Southern Wild gibt es für folgenden Film ebenfalls einen aktuellen Anlass, warum ich ausgerechnet über diesen schreibe! Der Titel hat wahrscheinlich ohnehin die Aufmerksamkeit von so manchem Perversling unter euch geweckt, also komme ich gleich zur Sache. Und nein, das meinte ich nicht zweideutig! -_- Am kommenden Donnerstag steht der Fernsehabend des Österreichischen Rundfunk im Schwerpunkt von österreichischen Filmemachern. So premieren gleich 2 Filme im Fernsehen: Atmen, ein Drama um einen 19-Jährigen Strafhäftling, der mit seiner neugewonnen Freiheit und seinem neuen Leben zurechtkommen muss, und Whores' Glory, eine Dokumentation über das Leben von Prostituierten rund um den Globus. 




Der Regisseur Michael Glawogger sucht sich für seine cineastische Recherche drei sehr exotische Szenerien aus, in welchen der Zuseher mit Sex handelnde Frauen wohl noch nicht zu Gesicht bekam, und teilt dementsprechend seinen Film in 3 Teile. Erster Teil zeigt ein Bordell in der Stadt Bangkok, in welcher es üblich ist, dass die Frauen in isolierten Zimmern hinter einer Glasscheibe sitzend zur Schau gestellt werden. Vor der Scheibe machen es sich die Kunden auf Sofas bequem und diskutieren sogar miteinander, welche wohl die Hübscheste sei oder auf welche man gerade Lust hat. Dieses Kapitel soll darstellen, wie sehr man einen Menschen (in diesem Fall Frauen) als Produkt herab werten kann und nicht mehr als selbstständig denkendes Individuum wahrnimmt. Wie Schaufensterpuppen haben die Frauen zu warten und sich zu präsentieren. Der Freier ruft sie nicht beim Namen, sondern per Nummer auf. Was für welchen Preis gemacht wird, entscheidet der Chef.

Abschnitt 2 zeigt ein Stadtviertel von Faridpur in Bangladesch, der sogenannten "Stadt der Freude". Und ja, in der Tat, hier erstreckt sich das Bordell Häuser weit durch die Gassen der Stadt, anstatt sich auf ein einzelnes Gebäude zu begrenzen. Hier arbeiten die Prostituierten nicht nur, sondern hier wohnen, essen und schlafen sie auch. Manche ziehen hier sogar ihre Kinder groß. Ihre thailändischen Kolleginnen (falls man es so nennen kann) sind wenigstens in der Lage abends nach Hause zu gehen, aber hier in Faridpur gelten offensichtlich andere Regeln, sowie Ränge unter den Frauen und Mädchen, welche ihre Geschäfte zum Großteil selbst organisieren bzw. von einer "Big Mama" (mir fällt leider kein anderer Begriff dafür ein) geleitetet werden. Die älteren, erfahreneren wohnen in größeren Zimmern, die jungen müssen mehr arbeiten. Täglich kommen neue junge Mädchen ohne Ausbildung oder Arbeitserfahrung vom Land in die Stadt um ein bisschen Geld zu verdienen, und ohne jegliche Jobaussicht entscheiden sie sich für die Prostitution. Ihnen wird von den Älteren sogar weisgemacht, dass sie sich glücklich schätzen können, hier zu arbeiten. Sollte sich eine beschweren, landet sie auf der Straße, wohingegen in den Bordellvierteln doch ein gewisser Schutz untereinander herrscht, man ein Dach über dem Kopf hat und versucht sich umeinander zu kümmern. Eine Art goldener Käfig. Dieses Kapitel soll die Aussichts- und Hoffnungslosigkeit dieser jungen Frauen den Zusehern näherbringen.

Kapitel 3 wurde in der mexikanischen Stadt Reynosa gedreht, nahe der amerikanischen Grenze bei Texas. Auch hier arbeiten die Frauen in eigenen Bezirken, aber anders als in Bangladesch werden diese Zonen extra für sie errichtet und von Polizisten bewacht, sollte sich ein Freier mal ungut verhalten. Hier sind sie sich ganz selbst überlassen und müssen ihre eigenen Zimmer mieten. Ihre Freier können sie sich aber selbst aussuchen und die Preise eigenmächtig festlegen. Diese Episode des Filmes zeigt, wie Prostitution nicht nur ein demütigender Akt ist, der den Frauen von einer befehlenden Instanz direkt aufgezwungen wird, sondern von ihnen als tatsächliche Arbeit betrachtet wird. Ob das nun gut oder schlecht ist, muss man natürlich für sich selbst entscheiden.

Die große Stärke des Filmes ist das kommentarlose Bild. Zu keinem einzigen Zeitpunkt der knapp zwei Stunden langen Doku spricht der Regisseur, und lässt immer nur die Frauen und die Freier reden. Zwar stellt er schon Fragen (welche nicht gezeigt werden), meistens lässt er aber die Gedanken der gefilmten Personen schweifen und fängt so viel besser ihre wahre Gefühlslage ein. Michael Glawoggers eigenen Ansichten zu Prostitution bleiben dem Zuseher verbal verborgen und er muss nur anhand des Bildmaterials sich eine eigene Meinung formen. Dieser Stilgriff gibt jeder Location ein ganz eigenes Momentum, hat aber als Konsequenz, dass irgendwie kein roter Faden zustande kommt und man auch keinen so richtigen Appell entdecken kann, obwohl die Grundthematik sich konsequent und konstant durch den ganzen Film zieht. "Wohin will der Regisseur mit dem Gezeigten?", könnte man sich fragen. Dies verleiht dem Film leider eine gewisse Langatmigkeit, welche aber durch die Dreiteilung der Ortschaften leicht aufgehoben wird, dennoch bei manchen Leuten (besonders bei denjenigen, die lange Dokus nicht gewöhnt sind) wahrscheinlich für Langeweile beim Fernsehen sorgen kann.

Trotzdem ist Whores' Glory eine sehr sehenswerte und (bedingt durch die Kommentarlosigkeit) unkonventionelle Dokumentation über ein Milieu, dessen innere Strukturen vielen Leuten unbekannt ist, und kann sich hervorragend zu Glawoggers anderen Spitzendokus Megacities und Workingman's Death dazugesellen.

santi