23. Januar 2013

Whores' Glory

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Action         Check!
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Fantasy       Check!
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Drama         Check!
Komödie     Check!
Dokumentation ... Hm, einen Dokumentarfilm reviewte ich in der Tat noch nie. Habe auch keine Ahnung wie ich sowas bewerkstelligen soll. Könnte also interessant werden. Und genau wie zu meinem Artikel Beasts of the Southern Wild gibt es für folgenden Film ebenfalls einen aktuellen Anlass, warum ich ausgerechnet über diesen schreibe! Der Titel hat wahrscheinlich ohnehin die Aufmerksamkeit von so manchem Perversling unter euch geweckt, also komme ich gleich zur Sache. Und nein, das meinte ich nicht zweideutig! -_- Am kommenden Donnerstag steht der Fernsehabend des Österreichischen Rundfunk im Schwerpunkt von österreichischen Filmemachern. So premieren gleich 2 Filme im Fernsehen: Atmen, ein Drama um einen 19-Jährigen Strafhäftling, der mit seiner neugewonnen Freiheit und seinem neuen Leben zurechtkommen muss, und Whores' Glory, eine Dokumentation über das Leben von Prostituierten rund um den Globus. 




Der Regisseur Michael Glawogger sucht sich für seine cineastische Recherche drei sehr exotische Szenerien aus, in welchen der Zuseher mit Sex handelnde Frauen wohl noch nicht zu Gesicht bekam, und teilt dementsprechend seinen Film in 3 Teile. Erster Teil zeigt ein Bordell in der Stadt Bangkok, in welcher es üblich ist, dass die Frauen in isolierten Zimmern hinter einer Glasscheibe sitzend zur Schau gestellt werden. Vor der Scheibe machen es sich die Kunden auf Sofas bequem und diskutieren sogar miteinander, welche wohl die Hübscheste sei oder auf welche man gerade Lust hat. Dieses Kapitel soll darstellen, wie sehr man einen Menschen (in diesem Fall Frauen) als Produkt herab werten kann und nicht mehr als selbstständig denkendes Individuum wahrnimmt. Wie Schaufensterpuppen haben die Frauen zu warten und sich zu präsentieren. Der Freier ruft sie nicht beim Namen, sondern per Nummer auf. Was für welchen Preis gemacht wird, entscheidet der Chef.

Abschnitt 2 zeigt ein Stadtviertel von Faridpur in Bangladesch, der sogenannten "Stadt der Freude". Und ja, in der Tat, hier erstreckt sich das Bordell Häuser weit durch die Gassen der Stadt, anstatt sich auf ein einzelnes Gebäude zu begrenzen. Hier arbeiten die Prostituierten nicht nur, sondern hier wohnen, essen und schlafen sie auch. Manche ziehen hier sogar ihre Kinder groß. Ihre thailändischen Kolleginnen (falls man es so nennen kann) sind wenigstens in der Lage abends nach Hause zu gehen, aber hier in Faridpur gelten offensichtlich andere Regeln, sowie Ränge unter den Frauen und Mädchen, welche ihre Geschäfte zum Großteil selbst organisieren bzw. von einer "Big Mama" (mir fällt leider kein anderer Begriff dafür ein) geleitetet werden. Die älteren, erfahreneren wohnen in größeren Zimmern, die jungen müssen mehr arbeiten. Täglich kommen neue junge Mädchen ohne Ausbildung oder Arbeitserfahrung vom Land in die Stadt um ein bisschen Geld zu verdienen, und ohne jegliche Jobaussicht entscheiden sie sich für die Prostitution. Ihnen wird von den Älteren sogar weisgemacht, dass sie sich glücklich schätzen können, hier zu arbeiten. Sollte sich eine beschweren, landet sie auf der Straße, wohingegen in den Bordellvierteln doch ein gewisser Schutz untereinander herrscht, man ein Dach über dem Kopf hat und versucht sich umeinander zu kümmern. Eine Art goldener Käfig. Dieses Kapitel soll die Aussichts- und Hoffnungslosigkeit dieser jungen Frauen den Zusehern näherbringen.

Kapitel 3 wurde in der mexikanischen Stadt Reynosa gedreht, nahe der amerikanischen Grenze bei Texas. Auch hier arbeiten die Frauen in eigenen Bezirken, aber anders als in Bangladesch werden diese Zonen extra für sie errichtet und von Polizisten bewacht, sollte sich ein Freier mal ungut verhalten. Hier sind sie sich ganz selbst überlassen und müssen ihre eigenen Zimmer mieten. Ihre Freier können sie sich aber selbst aussuchen und die Preise eigenmächtig festlegen. Diese Episode des Filmes zeigt, wie Prostitution nicht nur ein demütigender Akt ist, der den Frauen von einer befehlenden Instanz direkt aufgezwungen wird, sondern von ihnen als tatsächliche Arbeit betrachtet wird. Ob das nun gut oder schlecht ist, muss man natürlich für sich selbst entscheiden.

Die große Stärke des Filmes ist das kommentarlose Bild. Zu keinem einzigen Zeitpunkt der knapp zwei Stunden langen Doku spricht der Regisseur, und lässt immer nur die Frauen und die Freier reden. Zwar stellt er schon Fragen (welche nicht gezeigt werden), meistens lässt er aber die Gedanken der gefilmten Personen schweifen und fängt so viel besser ihre wahre Gefühlslage ein. Michael Glawoggers eigenen Ansichten zu Prostitution bleiben dem Zuseher verbal verborgen und er muss nur anhand des Bildmaterials sich eine eigene Meinung formen. Dieser Stilgriff gibt jeder Location ein ganz eigenes Momentum, hat aber als Konsequenz, dass irgendwie kein roter Faden zustande kommt und man auch keinen so richtigen Appell entdecken kann, obwohl die Grundthematik sich konsequent und konstant durch den ganzen Film zieht. "Wohin will der Regisseur mit dem Gezeigten?", könnte man sich fragen. Dies verleiht dem Film leider eine gewisse Langatmigkeit, welche aber durch die Dreiteilung der Ortschaften leicht aufgehoben wird, dennoch bei manchen Leuten (besonders bei denjenigen, die lange Dokus nicht gewöhnt sind) wahrscheinlich für Langeweile beim Fernsehen sorgen kann.

Trotzdem ist Whores' Glory eine sehr sehenswerte und (bedingt durch die Kommentarlosigkeit) unkonventionelle Dokumentation über ein Milieu, dessen innere Strukturen vielen Leuten unbekannt ist, und kann sich hervorragend zu Glawoggers anderen Spitzendokus Megacities und Workingman's Death dazugesellen.

santi